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Die Tagung thematisierte das Wechselspiel zwischen Bibliotheken und den Erstellern und Nutzern digitaler Editionen in einer sich wandelnden medialen Landschaft. Sie versammelte hierzu Bibliothekare und internationale Wissenschaftler zum interdisziplinären Meinungsaustausch, zur Identifikation gegenwärtiger Chancen und Herausforderungen und zur Skizzierung zukunftsfähiger Szenarien einer engen Zusammenarbeit.
Die internationale Diskussion auf der Tagung gab einen Überblick über den Stand digitaler Editionen und ihre Weiterentwicklung. Das machte sie für Literaturwissenschaftler und Historiker aller Fachgebiete ebenso interessant wie für Buch- und Medienwissenschaftler.
Die Tagung wurde vom Forschungsschwerpunkt Medienkonvergenz der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) gemeinsam mit dem Zentrum für digitale Edition der Universität Würzburg und dem Institut für Dokumentologie und Editorik sowie der Zeitschrift „Bibliothek und Wissenschaft“, veranstaltet.
Prof. Dr. Dr. h. c. Elmar Mittler: Professor für Buch- und Bibliothekswissenschaften der Universität Göttingen (em.), Alt-Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek und Research Fellow am Schwerpunkt Medienkonvergenz der Universität Mainz
Dr. Malte Rehbein: Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Computerphilologie der Universität Würzburg, Leiter des Würzburger „Zentrums für digitale Edition“ und Dozent im Studiengang „Digital Humanities“
Wissenschaftliche Bibliotheken sind die angestammten Institutionen für die Erarbeitung und Bereitstellung wissenschaftlicher (kritischer) Editionen. Sie bewahren in ihren Abteilungen für Handschriften, Nachlässe und seltene Drucke das historische Textmaterial und stellen es der philologischen Erschließung bereit. Sie gewährleisten aber auch die Verfügbarkeit der in den wissenschaftlichen Ausgaben zusammengeführten Ergebnisse. Damit hat insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten der Typus der geisteswissenschaftlichen Forschungsbibliothek verstärkt Aufmerksamkeit gefunden.
Die Chancen und Entwicklungen, die sich in diesem Zusammenhang im digitalen Zeitalter ergeben, sind enorm. Bibliotheken müssen angesichts vielfältiger Informationsangebote im Netz ihre Rollen als Informationsdienstleister wie als Forschungs- und Gedächtniseinrichtungen neu definieren. Quellen und Literatur können, sofern es keine urheberrechtlichen Schranken gibt, durch die Bibliothek selbst im Internet als digitale Editionen angeboten werden.
Darauf aufbauend verlässt die wissenschaftliche Editionsarbeit das elektronische Inkunabelzeitalter (Stäcker), um nicht mehr nur klassische Editionstypen im Internet zu simulieren, sondern neue Möglichkeiten zur Nutzung des digitalen Mediums zu erschließen. Dies erweitert nicht nur den immanenten Darstellungsraum einer Edition, etwa durch dynamische Visualisierungen, sondern Editionen überspringen auch die ehemals starren Grenzen der Buchdeckel, indem sie z.B. über Webservices externe Ressourcen einbinden oder dislozierte Annotationsinstrumente nutzen. So werden Editionen nicht nur digital, sondern auch dynamisch. Dies stellt die Bibliotheken als angestammte Institutionen für die Erarbeitung und Bereitstellung von Editionen vor Herausforderungen, die auf der Tagung diskutiert wurden.
Die digitale Edition an sich stellt beispielsweise Fragen nach der Digitalisierungsqualität, nach Datenformaten, Langzeitarchivierung und Zitierfähigkeit. In der dynamischen Edition kommen weitere Problemfelder hinzu: etwa die Textkohäsion betreffend oder die wissenschaftliche Autorisation multiauktorialer Gebilde. Auch ein verändertes Nutzer- und Nutzungsverhalten ist festzustellen. So wandeln sich wissenschaftliche Editionen mehr und mehr in digitale Bibliotheken selbst, während andererseits Bibliotheken in engagierten Projekten ihre Sammlungen über die bloße Digitalisierung hinaus kritisch erschließen und sie somit wissenschaftlichen Editionen annähern. Das hier skizzierte Szenario greift jedoch weit über die einzelne Bibliothek hinaus. Die Etablierung von „verteilten Bibliotheken“ und Schaffung von virtuellen Forschungsumgebungen wird weiter zunehmen.
Die Tagung bewegte sich an dieser Schnittstelle der gegenseitigen Annäherung von Bibliothek und einem sich wandelnden Editionsverständnis im digitalen Zeitalter. Dabei wurden verschiedenste Forschungsfragen aufgeworfen, in drei thematischen Sektionen diskutiert wurden:
Die Beiträge der 14 Referenten werden später in einem thematischen Sonderheft von „Bibliothek und Wissenschaft“ veröffentlicht.
Bibliothek und Wissenschaft ist ein Jahrbuch, das im Verlag Harrassowitz erscheint. Es versteht sich als Bindeglied zwischen den Geisteswissenschaften und den Bibliotheken als Trägern kultureller Überlieferung. Prof. Dr. Dr. h. c. Elmar Mittler ist seit vielen Jahren Mitherausgeber der Zeitschrift.
Im Mainzer Forschungsschwerpunkt „Medienkonvergenz“ kooperieren die kulturwissenschaftlich und die sozialwissenschaftlich orientierten Medienfächer unter Einbeziehung von Medienrecht, Medienmanagement und Medienkunst. Der aktuelle Prozess der Medienkonvergenz qua Digitalisierung, seine kulturellen, technischen, ökonomischen und juristischen Wirkungen, steht im Mittelpunkt des Forschungsschwerpunktes.
Das Zentrum für digitale Edition ist ein neu gegründeter, interdisziplinärer Forschungsverbund an der Universität Würzburg mit dem Ziel der Erforschung computergestützter Methoden in den Editionswissenschaften. Es führt die im Lebenszyklus digitaler Editionen benötigten Kompetenzen aus den Bereichen der Geisteswissenschaften, Informatik und Bibliothek zusammen und unterstützt künftige und laufende Editionsvorhaben. Das Zentrum versteht sich als ein offener „Think Tank“ mit dem Ziel der interfachlichen Vernetzung der historischen und philologischen Wissenschaften und als Kooperationsplattform für die Zusammenarbeit mit anderen Fakultäten. In der Gründungsphase beteiligte Partner sind die Universitätsbibliothek, der Lehrstuhl für Informatik II und der Lehrstuhl für Computerphilologie.
Das 2006 gegründete Institut für Dokumentologie und Editorik (IDE) ist ein virtueller Zusammenschluss von jungen Forschern, die sich mit der Anwendung von digitalen Methoden auf historische Dokumente beschäftigen. Es versteht sich als Kristallisationspunkt für die Anwendung von IT-Technologien im Bereich der Editorik, d.h. die Wissenschaft vom Edieren, und der Dokumentologie, d.h. einer Wissenschaft vom historischen Dokument, die dieses als physisches Objekt ebenso wie als Textträger versteht. Die Mitglieder des Instituts arbeiten an verschiedenen Standorten in zahlreichen Editions- und anderen Projekten der Digital Humanities, in Forschung und Lehre aktiv mit.